Die Abgeordneten des Sächsischen Landtages haben in den letzten Tagen sehr viele Mails von Lehrerinnen und Lehrern (Text am Ende) bekommen.
Hier bezieht unsere Bildungspolitikerin Sabine Friedel Stellung dazu (als PDF-Datei):
Sehr geehrte Damen und Herren,
knapp dreihundert Mails haben meine Abgeordnetenkollegen und ich in den letzten drei Tagen im Rahmen Ihrer Mailaktion erhalten. Ich möchte Ihnen gern – und das auch im Namen meiner SPD-Fraktionskolleginnen und -kollegen – auf die einzelnen darin angesprochenen Punkte antworten. Vorab muss ich aber sagen, dass dies etwas länger werden wird. Und da ich mir nicht sicher bin, ob solche langen Texte von jedem gelesen werden, möchte ich etwas anderes voranstellen:
Manche von Ihnen haben einfach die vorbereitete GEW-Mail weitergeleitet. Manche haben sich die Arbeit gemacht, den vorangestellten Text zu löschen. Manche haben eine individuelle Betreffzeile gewählt. Für eine Mail möchte ich mich wirklich sehr bedanken – für die von Herrn Richter. Er hat uns in einem längeren Text aufgeschrieben, warum die gegenwärtige Situation für ihn so schwer zu akzeptieren ist und wie er die vergangenen Jahre im sächsischen Schulsystem erlebt hat. Ich bin dankbar dafür, weil diese Schilderungen für uns vieles verständlicher machen. Und wahrscheinlich auch, weil ich hoffe, dass manche von Ihnen versuchen, auch unser Handeln und unsere Entscheidungen zu verstehen oder zumindest den Kontext, in dem es geschieht, in Rechnung zu stellen.
Nun aber zum Inhaltlichen:
Sie schreiben, dass der aktuelle Lehrermangel eine Folge politischer Fehlentscheidungen ist. Ja, das sehe ich genauso. Und ich glaube, es gibt kaum einen Abgeordnetenkollegen, der hier anderer Meinung ist. Sie schreiben, diese Fehlentscheidungen werden nun auf dem Rücken der Lehrkräfte ausgetragen, das sei nicht hinnehmbar. Ich finde, hier lohnt ein differenzierter Blick:
Das sächsische Schulsystem ist 28 Jahre lang von so viel Herausforderungen geprägt worden, dass der einzelnen Lehrkraft oft viel zugemutet wurde. Das ist ohne Zweifel so. Dabei waren diese Herausforderungen durchaus unterschiedlich – manche hätten vermieden werden können, andere jedoch nicht.
Zwei Beispiele: Die Teilzeitvereinbarungen der Neunziger Jahre wurden nicht aus Boshaftigkeit oder Sparwut geschlossen. Sie waren das Ergebnis gemeinsamer Verhandlungen zwischen der Staatsregierung und den Lehrergewerkschaften – die nötig geworden waren, weil sich binnen weniger Jahre die Schülerzahl halbiert (!) hatte. Und es ein gemeinsames Interesse gab, nicht einfach die Lehrerzahl ebenfalls zu halbieren und betriebsbedingte Kündigungen auszusprechen, sondern den gravierenden Geburtenknick in der Hoffnung auf bessere Zeiten mit gemeinsamer Teilzeit zu überstehen.
Ich halte die Entscheidungen, die damals im Einvernehmen zwischen Kultusministerium und Lehrergewerkschaften getroffen worden sind, für absolut nachvollziehbar. Etwas anderes ist die ab 2010 unterlassene Einstellung neuer Lehrkräfte, die tatsächlich aus meiner Sicht durch einen zu weit gehenden und nicht mehr sinnvollen Sparwillen verursacht wurde. Seit dem Jahr 2010 erlebte Sachsen wieder steigende Schülerzahlen – doch die damalige Regierungskoalition unterließ es, die Zahl der Lehrerstellen anzuheben, und das trotz zahlreicher Mahnungen und Aufforderungen der Lehrergewerkschaften wie auch der Opposition. Das waren gravierende politische Fehlentscheidungen (die sich allerdings bei den Ergebnissen der 2014er Landtagswahl kaum niederschlugen).
Mit Antritt der neuen Landesregierung aus CDU und SPD im Jahr 2014 wurden die Weichen neu gestellt: Unmittelbar nach dem Regierungswechsel wurden alle frei werdenden Lehrerstellen unbefristet wiederbesetzt (was vorher nicht der Fall war). Es wurden 2.500 zusätzliche Stellen geschaffen (statt wie ursprünglich geplant 2.000 weitere abgebaut), außerdem wurde die Zahl der Studien- und der Referendariatsplätze verdoppelt. Ein Jahr später wurden dann alle Oberschullehrkräfte in die E13 eingruppiert, es wurden Zulagen für neu eingestellte und über 63jährige Lehrkräfte gewährt, das Pflichtstundenmaß der Grundschullehrkräfte um eine Stunde abgesenkt und geleistete Mehrarbeit ab der ersten Stunde vergütet.
2016 wurde außerdem vereinbart, dass alle im Raum stehenden Maßnahmen zur Deckung des Lehrerbedarfs, die zu Lasten der Lehrkräfte gehen würden – also die Erhöhung des Pflichtstundenmaßes, die Erhöhung des Klassenteilers, die Streichung von Anrechnungsstunden oder die weitere Ausdünnung des Schulnetzes – nicht in Frage kommen und sogar über die Legislaturperiode hinaus ausgeschlossen werden.
2017 wurde mit dem Beschluss des neuen Schulgesetzes u.a. das Schulschließungsmoratorium festgeschrieben, die Ressourcen der Schulsozialarbeit wurden verdoppelt, die GTA-Mittel verstetigt. Und mit dem Handlungsprogramm 2018 gelangen nun auch die Grundschullehrkräfte in die E13, die GTA-Mittel werden erneut erhöht, die Programme „Senior-Lehrkräfte“ und „Schulassistenz“ eingeführt und vieles mehr.
Insgesamt empfinde ich vor dem Hintergrund der letzten drei Jahre und der zusätzlichen Mittel in enormer Höhe deshalb die von Ihnen beschriebene Enttäuschung und Wut über die eine Maßnahme der Verbeamtung zwar nachvollziehbar, aber als Gesamturteil mit Blick auf die vielen Themen, die uns im Schulbereich bewegen, zumindest nicht ganz ausgewogen.
Nun fordern Sie in Ihrer Mail einen Ausgleich für die nicht verbeamtungsfähigen Lehrkräfte der „Generation Ü42“. Und Sie schließen mit „Gleiches Geld für gleiche Arbeit!“ Meine Sicht ist: Wir waren noch nie so nah an der gleichen Bezahlung gleicher Arbeit wie heute. Jahrzehntelang war es in Sachsen leider ganz normal, dass die Gymnasiallehrkräfte in der E13 eingruppiert waren, Oberschullehrkräfte in der E11 und insbesondere der größte Teil aller Grundschullehrkräfte aufgrund ihrer Ausbildung in der DDR noch in der E10. Umso froher bin ich jetzt, dass wir es mit dem Handlungsprogramm schaffen, alle Lehrkräfte aller Schularten in die E13 zu holen. Und dass es uns zudem gelingen wird, 28 Jahre nach der Wende auch endlich die große Zahl an noch immer niedriger eingruppierten DDR-Lehrkräften ebenfalls höherzugruppieren.
Aber – und das ist der schmerzhafte Punkt: Nach dieser wichtigen Beseitigung alter Ungerechtigkeiten wird mit der Verbeamtung eine neue Ungerechtigkeit geschaffen. Die gestandenen Lehrkräfte werden zwar nach wie vor ein höheres Nettogehalt als die Berufsanfänger beziehen: Denn die Kolleginnen und Kollegen im Bestand sind inzwischen zumeist in der Erfahrungsstufe 4 oder 5 eingruppiert, erhalten daher zwischen 4.715 und 5.299 EUR brutto pro Monat und – selbstverständlich unterschiedlich je nach Familienstand und Steuerklasse ca. 2.900 EUR netto, während der neu eingestellte verbeamtete Kollege in der A13 Stufe 3 beginnt und hier mit rund 2.800 EUR netto nach Hause gehen wird (Bruttoentgelt: 3.923 EUR). Aber mit dem fortwährenden Stufenaufstieg des Beamten wächst die Netto-Lücke, so dass nach rund fünf Jahren die verbeamteten Kolleginnen und Kollegen an den angestellten Lehrkräften vorbeiziehen werden.
Deshalb ist es mir nachvollziehbar, dass es angesichts der mit dem Handlungsprogramm beschlossenen Verbeamtung zu der von Ihnen beschriebenen Enttäuschung kommt. Der Netto-Vorteil der verbeamteten Kolleginnen und Kollegen, der nicht aus besserer Bezahlung resultiert, sondern daraus, dass Beamte nicht in die sozialen Sicherungssysteme einzahlen, ist ungerecht.
Aus genau diesem Grund hat die SPD-Fraktion die Verbeamtung immer als schlechte Lösung empfunden. Wir haben in den Verhandlungen sehr darauf gedrängt, stattdessen den „Berliner Weg“ einer tariflichen Lösung zu wählen, wo junge Absolventen einfach schneller in die höheren Entgeltstufen gelangen. Auch dies hätte den Freistaat Sachsen im Vergleich zu anderen Bundesländern wettbewerbsfähig gemacht – und gleichzeitig die Verwerfungen bei den älteren Kolleginnen und Kollegen deutlich verringert. Doch im Laufe der langen Verhandlungen ist uns deutlich geworden, dass dieser Weg nicht mehrheitsfähig ist. Zum einen ist es uns nicht gelungen, unseren Koalitionspartner von diesem Modell zu überzeugen. Und zum anderen haben sich auch große Teile der Lehrerschaft selbst – allen voran der Sächsische Lehrerverband und der Philologenverband, aber auch der Verband der Berufsschullehrer – sehr für die Verbeamtung eingesetzt.
Die Folgen der Verbeamtungsentscheidung führen zwangsläufig zur von Ihnen erlebten Frustration. Denn die Netto-Lücke zwischen beamteten und angestellten Lehrkräften lässt sich auch beim allerbesten Willen nicht schließen: Sie entsteht ja dadurch, dass Beamte nicht in die gesetzlichen Sozialversicherungssysteme einzahlen. Wollte man erreichen, dass eine angestellte Lehrkraft, die zur Zeit in der E13 Stufe 6 ein Monatsgehalt von 5.378 EUR bekommt, auf einem „Beamten-Netto“ von ca. 3.500 EUR pro Monat landet, so müsste man das Angestellten-Brutto um rund 1.200 EUR pro Monat erhöhen. Doch da sich das geltende Tarifrecht auf das Beamtenrecht stützt, müsste eine solche Brutto-Erhöhung auch für die verbeamteten Lehrkräfte vorgesehen werden. Und damit würde eine neue Netto-Lücke entstehen, da natürlich die verbeamteten Lehrkräfte jetzt wiederum ein höheres Nettogehalt als die höhergruppierten Tarif-Lehrkräfte hätten. Mithin: Die Grundentscheidung „Pro Verbeamtung“ führt zwangsläufig dazu, dass nichtverbeamtungsfähige Lehrkräfte zu einem gewissen Grad benachteiligt werden und bleiben müssen, egal, was man tut.
Aber: Natürlich war allen an den Verhandlungen beteiligten Personen klar, dass zumindest versucht werden muss, die tarifrechtlich sehr engen Spielräume auch zu nutzen, um der „Generation Ü42“ ein Signal der Wertschätzung zu vermitteln. Hierfür sind im Handlungsprogramm 30 Millionen Euro „reserviert“. In welcher Weise diese Summe ab dem 01.01.2019 für die „Generation Ü42“ eingesetzt wird, ist noch nicht ganz klar. Hierzu erlaube ich mir, Sie auf ein Interview aus der Freien Presse hinzuweisen: https://www.freiepresse.de/NACHRICHTEN/TOP-THEMA/Es-geht-auch-um-ein-Signal-an-die-Lehrer-artikel10218191.php.
Zum Schluss noch eines: Sie schreiben, mit der Verbeamtung sei eine Aufwertung der Lehrkräfte unter 42 Jahren und eine Abwertung der Arbeitsleistung der Generation Ü42 verbunden. Beabsichtigt ist weder das eine noch das andere. Die Absicht des Handlungsprogramms liegt darin, den Unterrichtsausfall abzusenken, um so die Bildungsqualität in Sachsen zu erhalten und die Zukunftschancen unserer Schülerinnen und Schüler nicht zu gefährden. Dazu braucht es Lehrkräfte. Und zwar sowohl motivierte neue, die in Sachsens Schulen kommen als auch motivierte Bestandslehrkräfte, die bereits in unseren Schulen sind. Eine der Mails, die uns erreichten, trug den Betreff „nochmal nachdenken“. Zunächst danke ich für das „nochmal“ – denn nicht immer unterstellen alle Kritiker, dass wir vor Beschluss des Handlungsprogramms nachgedacht haben 😉 Ja, die Rückmeldungen der vergangenen Wochen führen natürlich dazu, dass wir nochmal und weiter nachdenken werden.
Das Artikelgesetz zur Umsetzung des Handlungsprogramms befindet sich gerade in der öffentlichen Anhörung. Bis zum 11. Juli haben die Verbände Zeit für ihre Stellungnahmen. Im August läuft dann die Auswertung. Wir werden also nach den Sommerferien im Licht der Rückmeldungen entscheiden, in welcher Weise die oben angesprochenen reservierten Mittel eingesetzt werden können.
Für Rückfragen stehe ich Ihnen gern zur Verfügung (post@sabine-friedel.de – auch wenn ich um Verständnis bitten muss, dass es angesichts der vielen Mails manchmal etwas dauern wird mit der Rückmeldung).
Freundliche Grüße
Sabine Friedel
Text der Lehrermail:
Sehr geehrte/r Abgeordnete/r des Sächsischen Landtags,
diese Mail erreicht Sie heute mehrfach in wortgleicher Form.
Wir, die Lehrerinnen und Lehrer aller Schularten möchten Ihnen auch auf diesem Wege ausdrücklich mitteilen, dass wir das Handlungsprogramm „Nachhaltige Sicherung der Bildungsqualität im Freistaat Sachsen“ in dieser Form ablehnen.
Der eklatante aktuelle Lehrermangel ist unter anderem die Folge eines jahrelangen politischen Ignorierens und Aussitzens von vorhersehbaren Problemen. Seit mehr als 20 Jahren ist bekannt, dass der Generationswechsel kommen wird. Ein frühzeitiges Gegensteuern wäre möglich und nötig gewesen, beispielsweise durch Ausbildung und Einstellungen in allen Schularten über den damaligen Bedarf hinaus.
Diese politischen Fehler sollen nun auf dem Rücken derjenigen ausgetragen werden, „die unser sächsisches Schulsystem seit vielen Jahren tragen und zu steten Erfolgen führen.“[1]
Es ist nicht hinnehmbar, dass die politische Lösung vorsieht, alle Lehrkräfte unter 42 Jahren zu verbeamten und somit eine finanzielle Aufwertung ihrer Arbeit erfolgt, gleichzeitig aber die Mehrheit der Lehrkräfte über 42 Jahre keinerlei Ausgleich erhalten. Dies ist eine Abwertung der Arbeitsleistung der Generation Ü42!Wir fordern die sächsische Staatsregierung auf, das Handlungsprogramm dahingehend zu überarbeiten, dass Maßnahmen ergriffen werden, die einen angemessenen Ausgleich in finanzieller Hinsicht oder durch verbesserte Arbeitsbedingungen für die Lehrkräfte Ü42 schaffen.
Wir fordern:Gleiches Geld für gleiche Arbeit! Wertschätzung und Anerkennung geleisteter Arbeit nicht nur auf dem Papier!
[1] Handlungsprogramm „Nachhaltige Sicherung der Bildungsqualität im Freistaat Sachsen“, https://www.bildung.sachsen.de/blog/wp-content/uploads/2015/08/Handlungsprogramm-Nachhaltige-Sicherung-der-Bildungsqualit%C3%A4t-im-Freistaat-Sachsen.pdf, S. 4