„Wir müssen in Sachsen viel mehr über Haltungen und Rassismus diskutieren. Das sehen wir jetzt jeden Tag ganz deutlich“, sagte Integrations- und Gleichstellungsministerin Petra Köpping am Donnerstag und verwies auf die Auseinandersetzungen um die Demonstrationen der selbsternannten „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (Pegida). „Das ist jeden Tag eine neue Herausforderung, der wir uns breit stellen werden.“
Köpping stellte zusammen mit der Dresdner Rechtsanwältin Dr. Kati Lang und dem Geschäftsführer der Opferberatung für Betroffene rechter und rassistischer Gewalt des RAA Sachsen e.V., Robert Kusche, die Ergebnisse einer Studie „Vorurteilskriminalität – Eine Untersuchung vorurteilsmotivierter Taten im Strafrecht und deren Verfolgung durch Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte“ vor. Die Studie von Dr. Lang geht der Frage nach, wie die Reaktion von Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichten in Sachsen auf rechte Gewalttaten ausfällt.
Dazu wurden 122 Verfahren, die weit überwiegend von der Polizei als rechte Gewalt erfasst waren, auf ihren Verlauf überprüft. 36 Prozent der Verfahren (44 von 122) wurden eingestellt; in 28 Prozent (34 von 122) aller Verfahren, obwohl hinreichend Tatverdächtige ermittelt waren. Von den 96 Verfahren, in denen Anklage erhoben wurde, fand in 41 Prozent das rechte Tatmotiv keine Erwähnung. In 74 Verfahren kam es zwar zu einer Verurteilung des bzw. der Täter, wobei nur in jedem fünften Urteil die rechte Tatmotivation in die Strafhöhe einbezogen wurde. Bei Betrachtung aller 122 Verfahren sinkt die Einbeziehungsquote in die Strafzumessung gar auf 12 Prozent. Insgesamt wurden 113 Täter verurteilt, der Großteil (79 %) war bereits vorbestraft, davon mindestens 28 Prozent aufgrund von einschlägigen Straftaten.
Dr. Kati Lang: „Die Justiz findet bedauerlicherweise bisher nur unzureichend Antwort auf rechte Gewalt. Die Ermittlung und Würdigung der menschenverachtenden Tatmotivation ist verpflichtend. Die Studie zeigt, dass diese Pflicht nur unzureichend erfüllt wird, da die rechten Beweggründe viel zu häufig keinen Einzug ins Strafverfahren finden. Die ausbleibende Signalfunktion stärkt die Täter und schwächt die Opfer. Die geplanten gesetzlichen Veränderungen sind daher zu begrüßen, wenn sie sicher im Detail auch verbesserungswürdig sind.“
Petra Köpping: „Der Freistaat Sachsen unterstützt die geplante Änderung des Strafgesetzes in diesem Bereich, um mit klaren Regelungen Richter und Staatsanwälte zu stärken. Zudem sagen wir im Koalitionsvertrag ganz klar, dass auch die Opferberatungsstellen gestärkt werden müssen. Und wir brauchen auch im Bereich der Justiz eine personelle Stärkung, damit Fälle nicht lange liegenbleiben – auch das haben wir klar im Koalitionsvertrag gesagt.“
Robert Kusche, Geschäftsführer der Sächsischen Beratungsstellen für Betroffene rechter und rassistischer Gewalt: „Das Ausblenden rassistischer Tatmotivationen vor Gericht ist ein zentrales Problem im Umgang mit rechter Gewalt, das wir immer wieder beobachten. Es ist Aufgabe der Ermittlungsbehörden und Gerichte, den Opfern mit Respekt und in einer Weise gegenüberzutreten, die sekundäre Traumatisierungen vermeiden. Daher müssen Opfer gestärkt werden und Unterstützung erfahren. Rechte Gewalt richtet sich gegen unser zentrales demokratisches Grundverständnis, ein Urteil im Namen des Volkes muss dieser gesellschaftlichen Dimension gerecht werden.“
Die Studie konnte nur durch die Weitergabe der verfahrensrelevanten Daten durch den Freistaat Sachsen realisiert werden und wurde durch die Hans-Böckler-Stiftung gefördert. Die Studie erscheint am 12.12.2014 im NOMOS Verlag.