Rede von Hanka Kliese, stellvertretende Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion, zur Regierungserklärung „Für eine demokratische Gesellschaft und einen starken Staat“.
(ab 1:26:00)
Während mir in meiner Heimatstadt gerade etliche Menschen erklären wollen, Angela Merkel und ihre Flüchtlingspolitik seien schuld daran, dass Menschen auf der Straße gerade derart entgleisen, denke ich an die 1990er Jahre in Sachsen und das, was ihnen folgte.
Es war noch kein Flüchtling zu sehen, als es bereits Rassismus gab, übrigens nicht nur in Sachsen.
Im Jahr 2004 bereits ging ein Aufschrei durch die Republik, als die NPD mit 9,2 Prozent in den Sächsischen Landtag gewählt wurde.
Früher hatten wir Ausländerfeindlichkeit ohne Ausländer.
Heute haben wir Ausländerfeindlichkeit mit Ausländern.
Wir haben kein Problem mit Trauernden, wir haben auch kein Problem mit Spinnern und Chaoten, denn das trifft es nicht. Exakt muss es heißen: Wir haben ein Problem mit Rechtsextremismus.
Wer das heute noch leugnet und als Sachsen-Bashing abtut, hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt.
Ich finde es gut, dass wir beginnen, aus Fehlern zu lernen. Meine Fraktion begrüßt ausdrücklich die Äußerungen des Ministerpräsidenten der letzten Tage.
Eine Analyse der Vergangenheit ist wichtig, denn sie ist die Grundlage, um Dinge besser zu tun. Dabei müssen auch wir als SPD uns fragen:
Sind unsere Strategien und Instrumente im Kampf gegen Rechtsextremismus noch zeitgemäß? Das können wir gemeinsam mit den vielen Akteuren tun, die in den letzten Jahren hier eine schwere Arbeit geleistet haben – mit Verlaub Herr Kretschmer, nicht immer mit Unterstützung der Staatsregierung.
Wer allerdings diese Zeit nutzen will, um nur die Fehler der Vergangenheit hoch und runter zu beten, muss sich fragen, ob er ernsthaft an einer Veränderung der Verhältnisse interessiert ist oder sich bereits im Beklagen eingerichtet hat. Auch das kann bequem sein.
Der Ausgangspunkt der Geschehnisse in Chemnitz ist ein Tötungsdelikt, das uns tief betroffen macht. So wie es bei jeder Tötung der Fall sein sollte, ob das Opfer jung oder alt, schwarz oder weiß, reich oder arm, männlich oder weiblich ist. Wir müssen alle in uns gehen und uns fragen, ob wir diesen wichtigen Grundsatz der Gleichheit tatsächlich in jedem Fall durchhalten. Ich wünsche mir, dass wir das schaffen.
Wie Sie sicherlich auch erhielt ich in den letzten Tagen unheimlich viele Nachrichten. Nicht Wenige schrieben mir: „Es ist schlimm, wie Sachsen in der Presse dargestellt wird. Kann man dagegen nichts machen?“
Darauf möchte ich erwidern: Ich bin glücklich in einem Land zu leben, in dem die Politik da nichts machen kann. Pressefreiheit ist für mich nicht verhandelbar. Wir brauchen auch in diesem Problembereich keine Schaffung ungarischer Verhältnisse!
Geärgert habe ich mich freilich auch ab und zu. So sagte am Samstag nachmittag im Deutschland Radio Kultur ein Studiogast: Man müsse doch jetzt auch über die Demonstrationen hinaus an die armen Menschen denken, die in dieser Stadt leben müssen.
Ich muss überhaupt nicht in Chemnitz leben, niemand muss das. Ich lebe dort wie viele andere Menschen, weil diese Stadt eine wunderbare Lebensqualität hat.
Wir haben ein Fünf-Sparten-Theater mit einer fantastischen Robert-Schumann-Philharmonie, ein Fraunhofer Institut, ein überregional bekannte Kunstsammlung, ein fantastisches Industriemuseum, die Sammlung Gunzenhauser. Wir sind kein Moloch.
Ich habe diese Stadt bewusst gewählt , um meine Tochter dort aufwachsen zu lassen, denn sie ist genau richtig. Mit Freiräumen für junge Kunst und Kultur, mit bodenständigen und fleißigen Menschen.
Chemnitz bewirbt sich als Kulturhauptstadt. Warum: Weil wir es können.
Die Erzählung für diese Bewerbung muss nun neu geschrieben werden. Das muss sie nicht, weil Angela Merkel die Flüchtlinge nach Deutschland gelassen hat. Das muss sie, weil Rechtsextremismus und Gewalt sich in dieser Stadt an zwei Tagen entladen haben. Die Bilder wurden überall gezeigt. Nicht, um Sachsen zu schaden, sondern weil es sie gab.
Gerade wendet sich das Blatt und es wird eine positivere Berichterstattung versucht, etwa über das Konzert am Montagabend.
Doch egal welche der Bilder Sie gesehen haben: Sie haben niemals die Mehrheit der Chemnitzerinnen und Chemnitzer gesehen. Die Spaltung unserer Stadt wird nicht durch Demonstrationen überwunden, so wichtig es ist, jetzt Flagge zu zeigen. Wir können die Spaltung nur überwinden, wenn wir einander als Menschen begegnen, die Respekt haben. Respekt vor Menschen anderer Herkunft, die sich jetzt bedroht fühlen. Aber auch Respekt vor der alten Dame, die sich abends nicht mehr auf die Straße traut.
Angst ist ein Gefühl, das wir nicht mit einer Statistik oder Sachargumenten beiseiteschieben können. Gefühle sind nie lächerlich und sollten nie arrogant von außen bewertet werden.
Was mich schon länger besorgt ist, dass diese Spaltung sich nicht nur auf links oder rechts bezieht, sondern generell auf eine Abwertung politischer Parteien.
Wir leben in einem Land, in dem das Engagement in jedem Kaninchenzüchterverein als ehrenwerter gilt als das in einer politischen Partei.
Was für eine Gesellschaft soll das sein, in der politische Parteien als Fremdkörper wahrgenommen werden?
Die AfD hat mir ihrem Altparteiengeschwafel kräftig dazu beigetragen.
Ich bitte Sie, nicht hier im Parlament, sondern außerhalb, anerkennen Sie das Engagement derer, die sich in Parteien ehrenamtlich und hauptamtlich für unsere Demokratie engagieren.
Gestern las ich in einer großen deutschen Zeitung: „Wir sollen hoch vom Sofa und die Politiker setzen sich.“
Ich habe solche Politiker nicht gesehen in den letzten Jahren, und in den letzten Tagen erst recht nicht. Ich sehe hier Leute, die tagelang wenig schlafen, die mit ihren Referenten im Dauer-Stress-Modus sind und keine Wochenenden haben. Dafür brauchen sie kein Mitleid und kein Lob, aber es sollte wenigstens gesehen werden.
Anrede, ich habe mich in meiner Stadt Chemnitz in den letzten Tagen manchmal gefühlt wie vor einer Gespensterkulisse, es war beklemmend am Bahnhof die vielen Polizeiwagen zu sehen. Ich sehe Chemnitz lieber ohne all das. Die Gottesdienste, die Konzerte waren schön, aber alle, die das veranstaltet haben wussten: Die richtige Arbeit liegt noch vor uns.
Es ist leicht, mit 65.000 Menschen im Chor „Nazis raus“ zu rufen. Was schwerer ist: An einem Tisch mit 30 aufgebrachten Bürgern zu erklären, warum straffällig gewordene Asylbewerber nicht sofort abgeschoben werden können. Justizminister Sebastian Gemkow hat das im Rahmen des Sachsendialogs letzten Donnerstag getan, ich saß mit an diesem Tisch und es waren tolle Gespräche.
Einander zuhören, den anderen ausreden lassen, Mut zur Differenzierung zu haben. Darauf wird es in den nächsten Monaten ankommen. Es sind schwere Zeiten für alle, die mehr sehen wollen als Schwarz oder Weiß, schwere Zeiten für Feinheiten, die gerade in diesen Tagen so wichtig ist. Momentan versammeln sich viele Menschen unter dem Hashtag „Wir sind mehr“. Ich weiß nicht, ob wir mehr sind. Ich weiß auch nicht, ob es eine kluge Idee ist, Quantität zum Qualitätskriterium zu erheben.
Wir alle haben es jetzt in der Hand, woran man sich in 10 Jahren beim Gedanken an Chemnitz erinnern wird: An einen Schandfleck oder an einen positiven Wendepunkt.